Mystik 01
17.01.2023

Mystik an öffentlichen Schulen

Das Buddhistische Institut der KPH Wien/Krems stellt Auszüge der Studie zur „Mystik an öffentlichen Schulen“ vor.

 

Das Institut für Buddhistische Religion der KPH Wien/Krems ging unter der Projektleitung von Guntram Ferstl in einer explorativen Studie der Frage nach, welches Bewusstsein über Mystik in der Schullandschaft vorliegt und welches Interesse Schülerinnen und Schüler an Mystik hegen. Hier nun Auszüge der Studie zur „Mystik an öffentlichen Schulen“.

 

In seinen Ursprüngen versteht sich der Buddhismus als Erleuchtungsweg, in dem der Erfahrungsaspekt durch die Meditation eine zentrale Rolle einnimmt. Ähnlich verhält es sich mit den mystischen Traditionen der anderen Weltreligionen. Die Studie ging aber von der These aus, dass man an der Schule kaum von den Erfahrungen in der Mystik weiß, aber das religiöse Leben eine Bereicherung erfahren könnte, wenn man über die Mystik der eigenen und der anderen Weltreligionen erfährt.

 

Die Mystik in den Religionen

 

Unter Mystik versteht man in den Religionen das Gesamtphänomen an Theorien und Methoden, die eine Verbindung mit dem Göttlichen/Absoluten oder Wirklichen ermöglichen sollen, so der Definitionsvorschlag der Mystikexpertin Katharina Ceming. In der Mystik begnügt man sich nicht mit dem Glauben an das Göttliche oder an die Wirklichkeit, sondern ist von der Sehnsucht beflügelt, das Göttliche oder die absolute Wirklichkeit selbst zu erfahren. Vergleicht man die Methoden der mystischen Traditionen der Weltreligionen, so zeigen sich einige wesentliche Parallelen. Die Mystikerinnen und Mystiker unterziehen sich einer intensiven Läuterung (purgatio), dabei nehmen sie meist Abstand vom weltlichen Treiben und verwenden viel Zeit auf Meditation und Gebet, um sich für das Göttliche leer zu machen. Bei erfolgreicher Läuterung stellen sich Erleuchtungen (illuminatio) ein, und als letzter Schritt kommt es zur Schau des Göttlichen oder der Einheitserfahrung (unio mystica). Buddha schaute bei seinem großen Erwachen die Wirklichkeit und erlangte dabei das Nirvana. Das Nirvana ist ein unbeschreiblicher Zustand, bei dem man das „Todlose, Nichtgeborene und Ungeschaffene“ erfährt. Dabei erfuhr Buddha unsägliches Glück – ein weiteres gemeinsames Merkmal, von dem Mystikerinnen und Mystiker der verschiedenen Weltreligionen bei der Begegnung mit dem Absoluten berichten. Unter Mystik werden aber nicht nur die eher selten auftretenden außergewöhnlichen Erfahrungen verstanden, wie zum Beispiel die Einheitserfahrung mit Gott, Ich-Auflösungen oder Erfahrungen der Zeitlosigkeit, der Allverbundenheit oder Unendlichkeit. Zur Mystik wird auch das Spüren der Gegenwart Gottes gezählt, ein Gefühl inneren Friedens und Geborgenheit.

 

Untersuchungsfelder

 

Im Zentrum der Studie, die im Zeitraum Juni 2019 bis Juni 2022 durchgeführt wurde, standen vor allem Untersuchungen von Schülerinnen und Schülern (insgesamt 8 Schulklassen), aber auch Studentinnen/Studenten und Lehrkräfte wurden hinsichtlich ihrer Kenntnisse über Mystik befragt. Ferner wurden Universitätsprofessoren aus Philosophie, Theologie und Religionspädagogik interviewt, welche Bedeutung sie der Mystik für die Religionen beimessen. Mystikerinnen und Mystiker aus der christlichen, islamischen und buddhistischen Tradition wurden hinsichtlich ihrer mystischen Erfahrungen befragt. Da die Datenmenge eingeschränkt ist, liegt keine Repräsentativität für Österreich vor, dennoch zeigen die Ergebnisse valide wesentliche Tendenzen auf.

 

Ergebnisse

 

Die Befragung der Universitätsprofessoren zeigten grundlegende Übereinstimmungen bei der Definition der Mystik. Die Religionsstifter wurden als Mystiker verstanden, wobei ein atheistischer Philosoph Buddha eher als Skeptiker auffasste. Dennoch wurde Mystik zum allgemeinen Verständnis der Religionen als hilfreich verstanden. Die Interviews mit den Mystikerinnen und Mystikern unterstrichen, dass Mystik auch in der Gegenwart lebendig ist.

Bei der Untersuchung der Schülerinnen und Schüler wurden katholische und islamische Klassen mit Fragebögen in der Primarstufe, der Sekundarstufe I und Sekundarstufe II besucht. In den Sekundarstufenklassen I und II zeigten die Fragebögen, dass nur 17 % der Schülerinnen und Schüler Mystik als eine Begegnung oder Schau Gottes verstanden. Nach einer ca. 10-minütigen Einführung über die Mystik in der eigenen Religion wurden die Schülerinnen und Schüler befragt, ob sie sich für Mystik interessieren. Hier zeigte sich eine enge Verknüpfung der Religiosität der Schülerinnen und Schüler zum Interesse an der Mystik. Bei den islamischen Schülerinnen und Schülern fiel die Religiosität wesentlich höher aus als bei den christlichen Klassen. Ferner erfuhren die Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt der Klassen eine Steigerung ihrer Befindlichkeit durch einfache mystische Übungen, wo sie zum Beispiel 5 Minuten im Geiste das islamische Glaubensbekenntnis oder das Herz-Jesu-Gebet wiederholten. Da manche Experten die Meinung vertreten, Mystik könne als Brücke beim interreligiösen Dialog dienen, wurden den Schülerinnen und Schülern exemplarisch auch Mystikerinnen und Mystiker anderer Religionen vorgestellt. Hier zeigte sich, dass das Interesse ähnlich hoch lag wie für die Mystik der eigenen Religion.

 

Studentinnen und Studenten (443 vollständige Abgaben) wurden über Online-Fragebögen untersucht, wobei von den Studierenden ca. 50 % spirituellen Aktivitäten nachgingen. Dennoch konnte nur gut ein Drittel der Studentinnen und Studenten den Begriff Mystik richtig bestimmen. Von besonderem Interesse waren die Erfahrungsberichte der Studierenden. Einige Berichte konnten als mystische Erfahrungen im engeren Sinne identifiziert werden, wo das „Ich“ aufgelöst war, die Einheit mit Gott, seine Liebe und unendliche Weite erfahren wurden. Manche berichteten auch von ihren Ego-Auflösungen und Glückseligkeit unter Drogeneinfluss. Viele berichteten von paranormalen Ereignissen, die nicht direkt zur Mystik zu zählen sind – zum Beispiel Kontakte mit Verstorbenen oder Engeln und vieles mehr.

 

Die Online-Fragebögen von den Lehrkräften (59 vollständige Abgaben) unterschiedlicher Schultypen zeigten, dass weniger als 30 % die mystischen Erfahrungen richtig identifizieren konnten. Von den Lehrkräften meinten ca. 68 %, dass Mystik auch an LehrerInnenausbildungsstätten und im Religionsunterricht vorgestellt werden sollte. Ferner befanden 78 % der Lehrkräfte, dass professionell angeleitete Achtsamkeitsübungen in der Schule angeboten werden sollten. 45 % der Lehrkräfte würden den Einsatz von Meditation im Unterricht begrüßen.

 

Die Religionslehrerinnen und -lehrer der untersuchten Schulklassen verstanden die Mystik ihrer Religion als zentrale Größe und fanden, dass Mystik verstärkt im Unterricht Platz finden sollte.

 

Schlussfolgerungen und Ausblick

 

Zusammenfassend darf festgestellt werden, dass außer den Fachleuten der Religionen die Akteure der Schullandschaft wenig über Mystik Bescheid wissen, aber religiöse Schülerinnen und Schüler bei einer ersten Erklärung interessiert aufhorchen und gerne mehr darüber erfahren möchten. Professionell angeleitet, könnten einfache mystische Übungen im Religionsunterricht den Erfahrungsaspekt der Religion stärken und die Erklärung der grundlegenden Prinzipien der Mystik die religiöse Erfahrung besser verständlich machen. Ginge es nach den interviewten Lehrkräften, Universitätsprofessoren und Mystikerinnen/Mystikern, so könnte die Mystik als Brücke im interreligiösen Dialog dienen. Angesichts der Ergebnisse wurde eine weiterführende Studie des Buddhistischen Instituts genehmigt, die sich der Frage widmet, welchen religionspädagogischen Beitrag Mystik leisten könnte.

 

Guntram Ferstl

1970 in Hohenems geboren, bis 1993 als Tiefbauingenieur tätig, ab 1996 Mittelschullehrer für Deutsch und Bildnerische Erziehung. Schamanische Initiation ab 1997, Dzogchenpraxis mit Wurzellama Tenzin Wangyal Rinpoche ab 2003; ab 2008 außerdem Tätigkeit als Yogalehrer. Seit 2016 buddhistischer Religionslehrer in Vorarlberg, im selben Jahr Buchveröffentlichung „Buddhismus aus der Mitte – Lehren, Schulen, MystikerInnen, Wissenschaft“. Im Jahr 2018 Weihe zum Zen-Priester in der Linie von Vanya Palmers, des weiteren Aufnahme seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Buddhistischen Institut der KPH-Wien/Krems, sowie seines Studiums der Philosophie an der Universität Innsbruck. Buddhistischer Mentor an der FMS-Altach seit 2019.



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